In den letzten Jahren wurde dem Wald als Ort der Erholung und der Gesundheitsförderung große und zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser Trend kommt aus Japan, wo er shinrin-yoku genannt wird, was so viel bedeutet wie „die Atmosphäre des Waldes mit allen Sinnen aufnehmen“ oder, einfacher ausgedrückt, „Waldbaden“.
Der Alpenwald ist ein prägendes Merkmal des Alpenraums. Die Wälder sind ein wichtiger Erholungsraum und spielen eine wichtige Rolle für den Tourismus, da sie das Landschaftsbild prägen und zahlreiche Wanderwege durch die Alpenwälder verlaufen. Angesichts des sich weltweit abzeichnenden Trends zur Waldtherapie und des weiten Vorkommens von Wäldern im Alpenraum könnte man meinen, dass Wälder und die ihnen zugeschriebenen gesundheitlichen Wirkungen eine gute Grundlage für die Entwicklung alpiner Gesundheitstourismusprodukte darstellen. Ein genauerer Blick auf die wissenschaftliche Literatur zur Waldtherapie offenbart jedoch einige Lücken und Mängel, insbesondere in Bezug auf die Forschungsmethodik und die Übertragbarkeit der Ergebnisse.
Medizinischer Beweis:
Der Mangel an qualitativ hochwertigen Studien bedeutet, dass es keine überzeugenden Beweise für den Nutzen der Waldtherapie gibt. Neben der mangelnden methodischen Qualität gibt es weitere Einschränkungen bei der Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf den Alpenwald:
- Die Forschung deutet darauf hin, dass viele der gemessenen gesundheitlichen Auswirkungen auf Phytonzide zurückgeführt werden können, eine allgemeine Bezeichnung für natürliche Chemikalien, die von Pflanzen in die Umwelt abgegeben werden. Es wird vermutet, dass diese Chemikalien die Stressphysiologie und die Immunologie durch Einatmen beeinflussen könnten. Die meisten Waldtherapiestudien wurden in tropischen Urwäldern (vor allem in Japan, Korea und China) mit einem hohen Grad an Biodiversität durchgeführt. Diese Wälder unterscheiden sich völlig von den typischen Alpenwäldern: Fast alle Alpenwälder sind naturnah im Sinne von Forest Europe, mit einem hohen Anteil an großen Bäumen und Totholz. Es gibt fast keine echten Primärwälder und Plantagen. Daher ist auch ihre Phytonzidzusammensetzung völlig anders, und die gemessenen Effekte lassen sich nicht auf alpine Wälder übertragen.
- In den meisten Studien lebte die Kontrollgruppe in asiatischen Megastädten wie Tokio mit hoher Luft- und Lärmbelastung. Die gemessenen gesundheitlichen Vorteile könnten daher auch auf das Fehlen solcher Faktoren zurückzuführen sein. Außerdem sind diese Städte nicht mit typischen europäischen/alpinen Städten vergleichbar.
Bislang wurden in Europa nur die folgenden drei randomisierten, kontrollierten klinischen Studien durchgeführt.
Studien zu medizinischen Erkenntnissen:
- Indikation: höheres Stressniveau (Dolling et al., 2017): Evidenzstufe Ib
- Indikation: Erschöpfung (Sonntag-Öström et al., 2015): Evidenzstufe Ib
- Indikation: Erschöpfung (Stigsdotter et al., 2017): Evidenzstufe IIa
Potenzial des Gesundheitstourismus:
In Anbetracht des weiten Vorkommens von Wäldern im Alpenraum und des sich abzeichnenden Trends zu naturnaher Erholung kann der Wald als wichtige Ressource mit hohem gesundheitstouristischen Potenzial betrachtet werden. Auf der Grundlage der derzeitigen Datenlage kann jedoch keine wissenschaftlich fundierte Aussage über die spezifischen gesundheitlichen Auswirkungen des Alpenwaldes getroffen werden. Daher besteht ein dringender Bedarf an künftigen Untersuchungen mit qualitativ hochwertigen Studien.
Die Vorteile des Waldes für die Gesundheit und das Wohlbefinden sind noch nicht eindeutig nachgewiesen. Die Ergebnisse früherer Forschungen stützen die Annahme, dass der Aufenthalt in Wäldern gesundheitsfördernd sein kann. Die Beweise sind jedoch aufgrund von methodischen Mängeln nicht ausreichend. Künftige Untersuchungen sind notwendig, um etwaige waldspezifische Auswirkungen auf die Gesundheit zu validieren, insbesondere für alpine Wälder.
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